Montag, 7. Oktober 2013

Wie Sie Menschen in Gruppen befähigen können

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam etwas erreichen oder etwas verändern wollen oder müssen.

Das kann sein:

  • Ein Unternehmen in einem Change-Prozess
  • Unternehmen, die mit anderen kooperieren möchten
  • Ein Verein, der für neue Mitglieder attraktiver werden oder seinen bisherigen Mitgliedern mehr bieten möchte
  • Eine Initiative, die in ihrem Stadtteil etwas bewegen will
  • Eine Kirchengemeinde, die ehrenamtliches Engagement fördern möchte
  • Eine Gewerkschaft, die ihre Mitglieder für ein Projekt aktivieren möchte
  • Menschen, die gemeinsam ein Projekt beginnen wollen
  • Läden, die eine Werbegemeinschaft gründen möchten
  • Viele andere Situationen sind vorstellbar

Diese Menschen stehen vor der Herausforderung, sich zusammenzufinden, ggf. Visionen und Ziele zu entwickeln, gemeinsame Vorgehensweisen finden, unterschiedliche Interessen auszubügeln. Gar nicht so einfach.

Sie könnten sich nun jemanden holen, der ihnen sagt, wie man das macht. Ein Experte oder Berater. Davon gibt es viele. Doch mit Beratern ist es so eine Sache. Es kann durchaus passieren, dass drei verschiedene Berater drei verschiedene Wege zum Ziel empfehlen. Eben die, die sie selbst am besten beherrschen.

Unternehmen mit langjähriger Beratungserfahrung wissen, dass die Konzepte externe Berater oft nicht umgesetzt werden, gar scheitern oder auf innerbetriebliche Widerstände stoßen. Menschen setzen ihre Kraft nur für Veränderungen ein, an deren Entwicklung sie innerlich beteiligt waren.

Wie könnte man es besser machen? Man kann jemanden beauftragen, der dafür sorgt, dass die Gruppe von Menschen ihre Aufgabe selbst bewältigt statt ihnen zu sagen, wo es langgeht.

Eine solche Person nennt man einen Facilitator.

Ein Facilitator ist ein Ermöglicher, Befähiger und Unterstützer. Er bringt Dinge in Bewegung und hilft einer Gruppe von Menschen, ihre Ziele zu erreichen – oder sie überhaupt erst zu finden. Er beschäftigt sich mit ihrer Situation, ihren Überzeugungen, Annahmen und Werten. Er sorgt dafür, dass alle Menschen, die von einer Situation oder Entwicklung betroffen sind, oder gemeinsam etwas planen, beteiligt werden – also alle Menschen, die zum System gehören. Er fördert Entwicklungs- und Lernprozesse ohne dabei die Rolle des klassischen Lernbegleiters oder Moderators einzunehmen. Das nennt man auch Partizipation. Das funktioniert in ähnlicher Form auch mit Einzelpersonen.

Ein Facilitator ist eine Mischung aus Moderator, Trainer, Coach, Prozessbegleiter und Organisationsberater. Er findet sich in Unternehmen wie in Non-Profit-Organisationen. Er ist eine Art Teilchenbeschleuniger, er erkennt und nutzt die Potentiale im System. Er erleichtert die Arbeit der Gruppe. So entstehen mehr Eigenverantwortung und Engagement. Manchmal muss er eine Gruppe aus Lethargie und Selbstzufriedenheit herausführen und so kreative Prozesse in Gang setzen. Oder es muss erst einmal die Wogen der Empörung glätten. Dazu benötigt er ein hohes Maß an innerer Klarheit und eine respektvolle und wertschätzende Haltung allen Teilnehmern gegenüber..

Klassische Organisations- und Unternehmensberater setzen gerne ihre oft umfangreiche Expertise ein, um ihren Kunden zu sagen, wo es lang geht. Das funktioniert heute allerdings immer weniger und löst oft verdeckte oder offene Widerstände aus. Unsere Organisationen werden komplexer, die Menschen in ihnen gebildeter und anspruchsvoller. Sie möchten beteiligt werden, ansonsten blockieren sie Veränderungsprozesse – manchmal unbewusst. Außerdem haben sie in der Summe viel mehr Wissen und Expertise als der Unternehmensberater. Jeder ist in seinem Bereich ein Experte für Fachwissen. Die Mitglieder einer Organisation kennen die inneren Zusammenhänge der Organisation besser als jeder externe Berater.  Ein Facilitator hat einen ganz anderen Beratungsansatz. Er weiß, dass das Wissen und die Lösung im System steckt und dort hervorgeholt werden muss.

Das funktioniert, wenn ein Unternehmen oder eine Organisation für diese Vorgehensweise bereit und reif ist. Ansonsten ist der Einsatz des klassischen Beraters mit seiner Expertise sinnvoller. Führungskräfte, die in erster Linie auf klare Ansage und Kontrolle setzen, kommen mit Partizipationsmethoden schnell ins Schleudern. Womit ich nicht sagen möchte, dass klare Ansagen und Kontrolle schlecht sind. Es kommt immer auf den Kontext einer Organisation an.

Wo Beteiligung gewünscht ist, entstehen neue Meeting- und Konferenzformate wie Open-Spaces oder Barcamps und damit eine neue Kultur der Zusammenarbeit und Teilhabe. Die Profilierung Einzelner auf Kosten des Gruppenprozesses funktioniert da nicht mehr Der charismatische Haudegen als Führungskraft ist in dieser Situation fehl am Platz.

Einige Aspekte, derer sich ein Facilitator in einem Gruppenprozess annimmt:
  • Verbleibende Zeit für das Vorankommen aufzeigen,
  • Der Gruppe helfen, auf geeignete Grundregeln zurückzugreifen und auch durchgehend zu beachten,
  • Die Gruppe dazu anhalten, den zielführenden Rahmen einzuhalten,
  • Aufsetzen einer "sicheren" Situation, in der sich alle Beteiligten uneingeschränkt einbringen können,
  • Zusammenfassende Angebote von individuellen Äußerungen und wichtigen Teilergebnissen einbringen, um gegenseitiges Verständnis und gleichwertige Berücksichtigung aller Teilnehmer zu unterstützen,
  • Visualisierung von erreichten Vereinbarungen und Ergebnissen,
  • Grundlagenbildung für gemeinsames Verständnis und gemeinschaftlich getragene Formulierungen,
  • Visualisierung der relevanten Themen in gemeinschaftlich getragener Formulierung,
  • Angebot "schwebender", eventuell nicht direkt ausgesprochener Fragestellungen, um dem Prozess Hilfestellung zu bieten,
  • Offenen Rahmen halten, um "Schnellschüsse" bzw. "Einfache Lösungen" und damit künstliche Einengung auf die Komfortzone oder sogar Ausschluss der eigentlichen Themen zu vermeiden,
  • Raum zur Einbringung für weniger dominante Gruppenteilnehmer schaffen.
    Quelle: Wikipedia
Er wird niemals eigene Meinungen einbringen, bestimmte Meinungen unterstützen, seine Lösungsahnungen als „Richtungsgeber“ einbringen oder die Gruppe von „heißen“ Themen abzuhalten versuchen. Er wird jedoch darauf achten, das der Schwerpunkt der Gruppenarbeit lösungs- und nicht problemorientiert ist. Und er wird niemals die Verantwortung für den Gruppenprozess an die Gruppe abgeben. Auch wenn die Versuchung dazu groß ist.

Hier eine Anmerkung zur viel gepriesenen Lösungsorientierung. Es gibt Moderatoren, die blind an reine Lösungsorientierung glauben und Probleme ausblenden wollen. Sie unterliegen einem fatalen Irrtum. Manchmal – nicht immer – ist es wichtig zu verstehen, wie ein Problem entstanden ist. Auch deshalb, um Schuldzuweisungen ausräumen zu können. Und oft ist in einem Problem der Weg zu Lösung enthalten. Hier ist Fingerspitzengefühl nötig.

Warum diese Entwicklung? Herkömmliche Organisationsstrukturen, in denen von oben bestimmt wird, was wie zu tun ist, verändern sich. Der Trend geht zu beteiligungsorientierten Entscheidungs- und Veränderungsprozessen bis hin zur Selbstorganisation in Projekten und gerade auch in Kooperationen und Vernetzungen. Allerdings wird manchmal nur so getan, als ob sich eine Struktur verändern soll. Dazu komme ich noch.

Die Kaffeepause als Konferenzformat


Früher wurden in Konferenzen die wesentlichen Gespräche und Entscheidungen in den Kaffeepausen getroffen. Nun macht man aus der kreativen und informellen Form der Kaffeepause ein Konferenzformat. So kann Selbstorganisation entstehen.

Das trifft auf eine wichtige, bislang oft wenig erkannte gesellschaftliche Veränderung. Weltweit entsteht eine neue Kultur der Zusammenarbeit und des Zusammenwirkens. Die vielfältigen und meist unkontrollierbaren Kommunikationsmöglichkeiten im Internet machen dies möglich. Viele konservative Unternehmensleitungen und Regierungsorganisationen haben das bislang noch nicht einmal erkannt, geschweige denn begriffen.

Manche begreifen es, wenn sie plötzlich und unerwartet zur Zielscheibe eines Shitstorms werden.


Der Blick in die Zukunft


Das einzig Sichere, das man über die Zukunft sagen kann, ist, dass sie im Wesentlichen offen ist. Das gilt auch für Unternehmen und Organisationen, auch wenn ihre Führungskräfte bzw. Politiker darüber anderer Meinung sind. Und wenn sie dann, inspiriert von den modernen Partizipationsverfahren, davon reden, „die Leute da abzuholen, wo sie sind“ oder die Leute „zu aktivieren“ oder die „Bürger zu beteiligen“ haben sie oft schon genaue Vorstellungen darüber, wo die Reise hingehen soll. So machen sie allerdings die Rechnung ohne die Beteiligten. Sie sehen die Menschen nicht als wirklich Beteiligte, sondern als manipulierbare Wesen, die sich „freiwillig“ in die gewünschte Richtung zu verhalten haben. Früher oder später werden diese es merken. Ein guter Facilitator, der in einem solchen Umfeld arbeitet, weiß dies und kann damit umgehen. Er begegnet dem verunsicherten Management mit Mitgefühl. Ein unerfahrender Facilitator wird daran verzweifeln.

Die Beteiligten spüren, ob ein Partizipationsmodell ernst gemeint ist oder nicht. Bei vorgetäuschter Beteiligung entstehen sehr schnell Resignation und Zynismus. Was nebenbei bemerkt auch ein Problem unserer heutigen Demokratie ist. Sie ahnen sicher schon, das dem Facilitator hier eine ganz besondere Rolle zukommt. Er benötigt ein hohes Maß an innerer Freiheit und muss auch einen Auftrag ablehnen können. Und er darf keinesfalls auf Befriedigung seines Ego-Bedürfnisses nach Anerkennung aus sein. Womit viele Trainer- und Beraterkollegen, die ich in den letzten 20 Jahren kennen gelernt habe, für solche Jobs schon mal ausfallen

Mal ganz im Ernst: Wenn Sie in Ihrem Unternehmen einen Change-Prozess planen oder dringend benötigen und schon klare Vorstellungen davon haben, wo es hingehen soll, dann lassen Sie die Finger von den Partizipations-Formaten. Machen Sie lieber ein großes Betriebsfest oder lassen Sie die Leute über glühende Kohlen laufen und „Tschaka!“ rufen. Und danach machen Sie klare Ansagen. Das akzeptieren die Menschen eher als vorgetäuschte Beteiligung.